Rückblick 2023

Es braucht auch innere Werte für eine zukunftsfähige Welt

Wie gelingt es, unsere Gesellschaften so zu verändern, dass eine nachhaltige Zukunft möglich ist? Und welche Rolle kommt dabei den Hochschulen zu? Diese Fragen beschäftigten die Teilnehmenden des vierten gemeinsamen Nachhaltigkeitstags der Berner Hochschulen am 3. November. Dabei wurde klar: Für den nötigen Wandel braucht es gemeinsame Werte und Visionen.

Angesichts von Krisen und Kriegen müssten Themen wie Nachhaltigkeit und Klimaschutz «schon fast wieder ein bisschen darum kämpfen, um oben auf der Agenda zu bleiben», stellte die bernische Regierungsrätin Christine Häsler zum Auftakt des Nachhaltigkeitstages der Berner Hochschulen fest. Die belastenden Ereignisse beschäftigten die Menschen sehr. «Umso wertvoller ist es, dass die Berner Hochschulen in Sachen Nachhaltigkeit am Ball bleiben und mithelfen, die Gesellschaft in diesem komplexen und anspruchsvollen Thema voranzubringen.»

Teilnehmende am Nachhaltigkeitstag im Plenarsaal

«Strategie gegen die Resignation»

Die Diskussion über gemeinsame Werte und Visionen für eine nachhaltige Zukunft sei motivierend und eine Strategie gegen die Resignation. «Das zeigt, dass es möglich ist, zusammen am Thema Nachhaltigkeit weiterzuarbeiten, Erfolgsgeschichten kennenzulernen, Wissen weiterzugeben – und gerade junge Menschen darin zu unterstützen, diese Themen anzugehen.»

Christine Häsler, Bildungsdirektorin des Kantons Bern, eröffnete den Nachhaltigkeitstag.

Wie wichtig es ist, gemeinsam an Werten und Visionen für eine zukunftsfähige Welt zu arbeiten, unterstrich auch Tomas Björkman, Mitbegründer der Bewegung «Inner Development Goals» (IDGs), Mitglied des Clubs of Rome und Buchautor. Die Menschheit befinde sich heute nicht zum ersten Mal in ihrer Geschichte an einem Wendepunkt, an dem bekannte Paradigmen ihre Grenzen erreicht hätten. Das letzte Mal sei dies zu Beginn der Neuzeit der Fall gewesen. «Heute ist die Moderne das alte Paradigma und wir stehen am Punkt, an dem es in zwei Richtungen gehen kann: entweder Zusammenbruch oder Durchbruch zu etwas Neuem.» Der Unterschied zu früheren Scheidepunkten sei: «Heute ist nicht nur eine Region der Welt betroffen, sondern die ganze Welt.» Es gelte also, viel komplexere und existenziellere Herausforderungen zu bewältigen.

Das skandinavische Geheimnis

Aber wie? Einen zentralen Hebel verortet Björkman in den «inneren Fähigkeiten und Werten» von Menschen und Gesellschaften. Sie seien eine wichtige, wenngleich nicht die einzige Voraussetzung für eine gesellschaftliche Transformation. Um individuell und kollektiv eine nachhaltige Zukunft zu schaffen, müssten sie in einer lebenslangen persönlichen Entwicklung erworben und vertieft werden. «Das lässt sich nicht in normalen Schulsituationen vermitteln. Vielmehr müssen wir dafür Werkzeuge für transformatives Lernen einsetzen.»

Per Videoübertragung zugeschaltet: Tomas Björkman

Anhand des Beispiels, das er als Co-Autor im Buch «Das skandinavische Geheimnis»  beschrieb, erläuterte er, wie das funktionieren kann: Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatten die skandinavischen Länder ein Bildungsmodell entwickelt, dank dem sie auf friedliche Art von bitterarmen, feudalen Landwirtschaftsgesellschaften zu wohlhabenden Demokratien mit grossen Freiheiten und stabilen Volkswirtschaften wurden. Das «Geheimnis»: Es wurden Schulungszentren geschaffen, die den Schwerpunkt auf die persönliche psychologische Entwicklung – die Ausbildung eines «inneren Kompasses» – legten. «Die jungen Teilnehmenden erwarben sich so Systemwissen und wurden gleichzeitig befähigt, bewusste Mitgestaltende des Wandels hin zu einer erwünschten Zukunft zu werden.» Für die heutige Situation sei dieses Fallbeispiel zwar keine Blaupause, so Björkman. Aber es zeige, dass es möglich ist, einen gesellschaftlichen Wandel zu realisieren.

Spielerisch nachdenken

Impulse für eine zukunftsfähige Welt gaben auch die zahlreichen Projektstände und Workshops der Berner Hochschulen. In beeindruckender Breite gingen sie der Frage nach, wie Veränderungen zustande kommen, was unsere Gewohnheiten beeinflusst und wie nachhaltige Visionen entstehen können. Zum Einsatz kamen dabei Spiele, anschauliche Schulmaterialien, räumliche Gestaltung, Digitalisierung und technologische Neuerungen – ein Feuerwerk an Innovationsgeist.

Die Rolle der Wissenschaft kritisch hinterfragt

Einen nachdenklichen Abschluss des Tages machten Jeannette Behringer, Politikwissenschaftlerin, Ethikerin und Verantwortliche für nachhaltige Entwicklung an der Universität Zürich, sowie Alexandra Gavilano, Umweltwissenschaftlerin und Klimagerechtigkeitsaktivistin. Im Nachhaltigkeits-Podium «Werte und Visionen zwischen Theorie und Praxis» waren sie sich einig, dass die Wissenschaft mittlerweile vermehrt über ihre Rolle nachdenke, was sie zu einem nachhaltigen gesellschaftlichen Wandel leisten kann und soll. Übers Ganze gesehen sei die nötige selbstkritische Reflexion aber noch zu wenig weit gediehen.

Laut Jeannette Behringer liegt dies vor allem an den wissenschaftlichen Strukturen, «die das Arbeiten mit und in der Gesellschaft zu wenig belohnen». Insbesondere die universitäre Wissenschaft müsse sich noch mehr mit anderen Akteur*innen auseinandersetzen, deren Wissen anerkennen und mit ihnen zusammenarbeiten.

Lea Grüter, Moderation, im Gespräch mit Jeannette Behringer (Mitte) und Alexandra Gavilano (rechts).

Bei der Frage «Wie aktivistisch soll und kann Wissenschaft überhaupt sein?», rief Alexandra Gavilano die Wissenschaft dazu auf, den Mut aufzubringen, weniger neutral zu sein und sich klarer für die nötige Transformation zu engagieren. «Das bedeutet aus meiner Sicht nicht, sich an die Strasse zu kleben, sondern die Masse dazu zu befähigen, Stopp zu sagen und einen Richtungswechsel einzufordern.»

Jeannette Behringer hielt dem entgegen, die Wissenschaft müsse zwar aktiv einen Beitrag zur nötigen gesellschaftlichen Veränderung leisten. Aber: «Sie kann nicht allein bestimmen, welche Veränderungen sie beschliessen will. Das muss in verbindlichen, politischen Prozessen geschehen.»

Heike Mayer, Vizerektorin Qualität der Universität Bern, im Gespräch mit Manuel Fischer, Co-Leiter Nachhaltige Entwicklung der Berner Fachhochschule

Neue Perspektiven eröffnen

Dass der Nachhaltigkeitstag durchaus Stoff für weitere Debatten lieferte, liess sich auch an den Reaktionen von Teilnehmenden ablesen. So meinte beispielsweise ein Student: «Hier begegnet man Themen und Ansätzen, die man sonst im Alltag nicht mitbekommt. Der Tag bietet Raum, andere Menschen mit anderen Erfahrungen zu treffen. Das eröffnet neue Perspektiven.»

Sie sind also vorhanden, die Strategien gegen die Resignation. Affaire à suivre.

Text: Gaby Allheilig, Centre for Development and Environment (CDE), Universität Bern

Fotos: Nicola Hasler, Berner Fachhochschule (BFH)

Video: Reto Steffen