Retour en arrière 2021
Berner Hochschulen: Die Zukunft ist jetzt!
Die Zeit ist knapp. Es bleiben knapp neun Jahre, um die Ziele der Agenda 2030 zu erreichen. Was bedeutet das für die Hochschulen? Wie nutzen sie diese Zeit? An ihrem gemeinsamen Nachhaltigkeitstag am 5. November 2021 zeigten die Universität Bern, die Berner Fachhochschule und die PHBern in einer beeindruckenden Breite, was sie zu den UNO-Nachhaltigkeitszielen konkret beitragen – aber auch, wo weiterer Handlungsbedarf besteht.
«Über Jahrzehnte lieferte die Hochschul-Forschung die Grundlagen, Prognosen und Warnungen zum Klimawandel. Die Zeit des Warnens ist vorbei, der Zeitpunkt zum Handeln ist längst da», unterstrich Regierungsrätin Christine Häsler zum Auftakt des dritten Nachhaltigkeitstags der Berner Hochschulen. Dokumentieren und Erklären seien weiterhin relevant – darüber hinaus brauche es jetzt aber Handlungsimpulse. Damit werde die Rolle der Hochschulen nicht kleiner. Denn: «Es ist entscheidend, dass die Umsetzung wissensbasiert und zielbewusst erfolgt.»
Politisch und persönlich sei es ihr ein Anliegen, die Nachhaltigkeit breit zu denken und sie nicht allein auf den Klimawandel zu reduzieren. «Die UNO führt in ihrer Agenda 2030 16 weitere Nachhaltigkeitsziele, die nicht weniger wichtig sind.» Häsler machte zudem deutlich, dass es nicht ausreiche, nur mit Technologien die nachhaltige Entwicklung bei Klima, Ressourcenverbrauch, Artenvielfalt oder sozialem Zusammenhalt anzustreben: Es brauche auch Verhaltensänderungen von uns allen.
Neues zu schaffen, ist zum Selbstzweck geworden
Warum fällt es uns aber so schwer, diese Verhaltensmuster zu ändern? Dieser Frage ging die anschliessende Diskussion mit Tim Jackson auf den Grund, der an der University of Surrey zu Postwachstumsökonomie forscht und mit dem Bestseller «Wohlstand ohne Wachstum» bekannt wurde. Ausgehend von einem seiner Zitate («Wir werden dazu verleitet, Geld auszugeben, das wir nicht haben, für Dinge, die wir nicht brauchen, um Eindruck zu schinden, der nicht von Dauer ist»), erläuterte er, wie die entsprechenden Mechanismen funktionieren. Einen der Gründe verortet der britische Wissenschaftler darin, dass der Mensch hin- und her gerissen sei zwischen dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit (affiliation) und dem Bedürfnis nach Abgrenzung bzw. dem Bedürfnis, sich von der Masse abzuheben (distinction).
Dabei habe es der Kapitalismus geschafft, uns davon zu überzeugen, er könne die Mittel für beides liefern. «Das hatte zur Folge, dass wir alle unsere Bedürfnisse dem Gütermarkt übergeben haben.» Der Wunsch, sich mit materiellen Gütern zu umgeben und diese zu zeigen, sei jedoch auch tief in uns verankert. «Wir sind also teils willige Opfer eines wirtschaftlichen und sozialen Systems, das wir rund um unsere Wünsche und Bedürfnisse geformt haben.»
Der Konsumkapitalismus nutze dies – und produziere immer neue Dinge. Zumal «Dinge, die Bestand haben, für den Konsumkapitalismus ungeeignet sind». Jackson betonte, neue Technologien und Innovationen seien unverzichtbar. Aber: «Wir befinden uns auf dem Weg zur Hyper-Innovation», wo man Altbewährtes einfach über Bord werfe und kontinuierlich Neues entwickle, das eine Nachfrage kreiert. Neues zu schaffen, werde so zum Selbstzweck. Daher sei es nötig, zwischen Innovation und Tradition wieder eine Balance zu finden und «eine Welt für die zu denken, die uns nachfolgen.»
Grosse Bandbreite an Ideen für konkrete Veränderungen
Dass es an einem solchen Innovationsgeist für die nachhaltige Entwicklung nicht mangelt, bewiesen Studierende sowie Forschende der drei Hochschulen den über 350 Besucherinnen und Besuchern an Projektständen und in zahlreichen Workshops. Und – sie wurden dabei sehr konkret. So gab es beispielsweise Impulse, wie sich unser Ernährungsverhalten genussvoll auf Nachhaltigkeit umpolen lässt oder wie Sport zu den UNO-Nachhaltigkeitszielen beitragen kann – bis hin zur Frage, wie Literatur, Film und Kunst helfen können, uns die Welt neu vorzustellen. Zentral waren vor allem auch die Debatten zu Digitalisierung und Nachhaltigkeit sowie zur Bildung für nachhaltige Entwicklung.
Bewusstsein für Nachhaltigkeit hat zugenommen – und wie ist es mit den Taten?
Den Abschluss des Tages bildete ein «Nachhaltigkeitstalk» mit Carla Hoinkes, Verantwortliche Landwirtschaft und Ernährung bei Public Eye, und Armin Brun, CEO der Berner Kantonalbank BEKB. Einig waren sich beide, dass das Bewusstsein für die nachhaltige Entwicklung in Wirtschaft und Gesellschaft zugenommen hat, dass es aber noch deutlich mehr Anstrengungen bedarf, um den Worten Taten folgen zu lassen.
So stellte Armin Brun zwar fest, dass im Finanzsektor die Nachfrage für nachhaltige Anlagen gestiegen sei. Aber: «Es fehlt eine Taxonomie.» Viele Produkte würden unter dem Label «nachhaltig» angeboten, ohne dass klar sei, was das beinhaltet. Hier sehe er eine wichtige Rolle von Hochschulen und Forschung, einen Beitrag zu mehr Transparenz zu leisten.
Carla Hoinkes entgegnete, es wäre allgemein oft einfacher, wenn die Politik gewisse Rahmenbedingungen vorgebe, statt dass man auf Rankings oder Nachhaltigkeitsbewertungen setze. Im Agrarbereich etwa sei die Weiterentwicklung von Saatgut vor allem den Saatgutherstellern überlassen worden. «Diese beeinflussen, was erforscht wird», was in vielerlei Hinsicht zu Monokulturen geführt habe. Deshalb gelte es, die unabhängige Forschung, aber auch die Rolle der Politik zu stärken.
Kluge Köpfe für die Nachhaltigkeitsziele
Sowohl der «Nachhaltigkeitstalk» wie die Inputs und Diskussionen zuvor zeigten, was Regierungsrätin Christine Häsler eingangs festgestellt hatte: Es braucht «kluge Köpfe, um die Ideen zu entwickeln, mit denen die Nachhaltigkeitsziele erreicht werden können».
Text: Gaby Allheilig, Centre for Development and Environment (CDE), Universität Bern
Fotos: Corina Lardelli, Berner Fachhochschule (BFH)